Programm 2
 
LEBENDIGES
KLASSISCHES  ERBE
 
Johann Wolfgang Goethe
 
 
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Szenen  und  Monologe
aus dem  I.  und  II.  Teil

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Soloprogramm
 
ERNST  SCHMIDT
- Meister des Wortes -
Träger der Friedrich-Schiller-Medaille
em. Nestor des Deutschen Nationaltheaters Weimar


 
Keine "Faust"-Inszenierung, so gut sie auch sein mag, kann der Größe der Dichtung Goethes vollauf genügen. Aus gutem Grund beschränken sich die Theater vorwiegend darauf, nur den I. Teil (gekürzt) aufzuführen. Und wo "Faust II" zur seltenen Aufführung gelangt, ist er mehr oder weniger zum Torso verstümmelt.
Die Auswahl der Programmfolge, die von Ernst Schmidt vorgenommen und mit jeweils kurzen Erläuterungen versehen wurde, beschränkt sich ganz bewußt auf Szenen und Monologe, die - in vorgegebener zeitlicher Einschränkung - für einen Sprecher möglich und für die Hörer relativ leichter eingängig sind, als die Rezeption des Gesamtwerkes an einem Abend.
Diese Auswahl geschah auch mit der Absicht die Besucher anzuregen, "Faust I  u.  II" nicht nur in auswendig-freiem Vortrag zu erleben, sondern sich möglichst auch einmal den wesentlichen Inhalten lesend zu nähern, dem Vorgedachten nachzudenken und zu vertiefenden Erkenntnissen zu gelangen.

Das Leitthema, das Goethe selbst zu seinem Faust gibt: "Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange, ist sich des rechten Weges wohl bewußt",spricht die Überzeugung aus, daß der gute Kern im Menschen die Entwicklung nach vorwärts bestimmt. Das Böse - das sich in Mephisto konzentriert - kann bei seinem Kampf gegen diesen guten Kern im Menschen zwar zeitweilige Erfolge erzielen, ist aber letzthin doch nur "ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft!". Die Dialektik von Gut und Böse wird zu einem produktiven Lebenselement des Strebens.

Das Liebeserlebnis des Menschen Faust auf seinem Weg zur Vervollkommnung endet tragisch. Diese Tragödie (die Gretchentragödie) ist - wie andere - ein Durchgangsstadium für den Menschen, das ihn seiner Vollendung auf widerspruchsvolle Weise näher bringt.

Seinen Verzicht auf Magie leistet Faust angesichts des nahen Todes und der eindringenden "Sorge". Sie kann ihn äußerlich erblinden lassen - sein Inneres aber bleibt ihrem Zugriff entzogen. Die plötzliche Gegenüberstellung mit dem Tod treibt Faust zum Ziel seines letzten strebenden Bemühens - bei dem Mephisto nur mehr die Rolle eines Handlangers zugedacht ist.
In einer die Schranken seiner eigenen Epoche sprengenden Vision sieht Faust "auf freiem Grund" ein nach Millionen zählendes "freies Volk" leben. Dem "Gemeindrang" einer "kühn-emsigen Völkerschaft" widmet er nun sein letztes Wirken. Und aus dem Bewußtsein von der Größe dieses Anliegens erwächst ihm die beglückende Gewißheit :

"Es kann die Spur von meinen Erdetagen  
  nicht in Äonen untergehn." 
Diesen Zustand tätig-freien Lebens und schöpferischer Verbesserung für alle, möchte Faust sehen und als "höchsten Augenblick", als Dauer im Wechsel der Zeit genießen.
- "Ein Gleichnis für die ganze Menschheit." -
Georg Lukacs
 

Wie nötig wäre unserer Zeit, die dem Bösen und Zynischen hilfloser verfallen scheint, als viele frühere - wie nötig wäre ihr die gütige G r ö ß e, welche wüßte, wessen der Mensch bedarf und, statt ihm boshafte Sophismen zu bieten, seiner Bedürftigkeit gern im Ernste riete!  So ohnmächtig ein "reines Wort", ein wohlwollendes, das zum Besseren rät, heute erscheint, so brutal das Weltgeschehen darüber hinweggeht - wir wollen an dem anti-teuflischen Vertrauen festhalten, daß die Menschheit im tiefsten Grunde doch ein feines Gehör hat, und daß die Worte, die aus eigenem Bemühen geboren, ihr zugute kommen möchten und in ihrem Herzen nicht untergehen werden.

Thomas Mann (aus: Über Goethe "Faust")